Berichte von 07/2014

Dienstag, 22.07.2014

#28 Was so passiert ist

Ich habe Sommerferien!!!😀

Eigentlich sollte ich aber schon heute wieder was mit ein paar aus dem zweiten Jahr machen. Mit denen verbringe ich nämlich eine Stunde in der Woche, in der wir ehrenamtliche Arbeit machen. Aber da die es verbaselt haben, der Lehrerin zu sagen, dass ich auch komme, habe ich jetzt die ganze Woche frei, wenn man davon absieht, dass ich zum Hanabi (Feuerwerk) und O-Matsuri (Straßenfest) und Aikido gehe. Ab nächster Woche ist dann Clubtraining und ich fahre mit Okaasan, Shiori und Obaasan nach Osaka. Okaasan versucht immer noch, Yutaro dazu zu bringen, auch mitzukommen, aber sie wird keinen Erfolg damit haben. Jetzt aber mal zu meinen letzten Wochen:

Clubs

Ich habe mich für den Hikingclub und den Teezeremonieclub entschieden. Das ist viel Stress, vier Mal in der Woche Training. Ich will gerne Wanderen gehen, deshalb bin ich in den Wanderclub eingetreten. Das Training (drei Mal in der Woche) macht ansich keinen Spaß, es ist vor allem ziemlich schrecklich, Ausdauer- und Kranfttraining, die ganze Zeit. Dafür ist der Teezeremonieclub umso spaßiger und auch sehr interessant. Dort darf ich auch manchmal Tee machen und ich habe auch schon zwei Mal einen echten Kimono getragen und war neulich beim Tag-der-offenen-Tür (sehr schön) Kellnerin. Ansonsten unterhalten wir uns viel. Meine Freunde haben angefangen, mir JK-Wörter beizubrinen, was eine sehr witzige Beschäftigung ist, auch wenn es im Allgemeinen sehr sinnlose Wörter sind. JK steht für Joshikoukousei, Mädchenoberschulschülerin. Aber mal ehrlich, wer hätte erwartet, dass es im Japanischen ein Wort dafür gibt, wenn sich ein Junge über der Schulter eines Mädchens an die Wand stützt? Und auch eines für das Manga-Genre, in dem das häufig vorkommt? In beiden Clubs habe ich echt viele Freunde. Deshalb würde ich echt jedem raten, in einen Club einzutreten; keiner von den beiden ist für mich der "perfekte" Club und ich finde es immer noch manchmal schade, dass es keinen Aikidoclub gibt. Aber es ist ein tolles Gefühl, dazu zu gehören und zu wissen, "das ist mein Club". Und auch wenn alle natürlich davor auch schon nett waren, ist es irgendwie was anderes. Jedenfalls war es bei mir so, dass ich mich echt viel glücklicher fühlte, als ich mich endlich entschieden hatte. Jetzt werden sich viele wundern, weshalb ich so lange zum entscheiden brauchte, wo die beiden Clubs ja schon am Anfang meine Favoriten waren. Das lag an einer Reihe von Missverständnissen.

Japanische Landschaft

Mit dem Hikingclub war ich auch schon einmal wandern. Allerdings mit der Mittelschule, da die Lehrer nicht wussten, wie gut meine Ausdauer ist. Es war trotzdem schön. Wir trafen uns sonntags um viertel nach sechs am Bahnhof, was für mich ja zum Glück kein weiter Weg ist. Dann ging es erstmal mit dem Zug und später mit dem Bus in die Berge, wo wir dann um kurz vor neun oder so ankamen. Schon die Busfahrt fand ich toll. Japanische Landschaft ist wunderschön. Die Berge sind nicht so hoch aber steiler und enger als die in Deutschland oder auch als die Alpen. Und überall, selbst an den allersteilsten Stellen, sind sie mit Wald bewachsen, der auch dichter ist, als der in Europa. Und vor allem aus anderen Pflanzen besteht. Aus Nadelbäumen und auch mal Palmen (eher in den Tälern) und Bambus. In den Tälern reihen sich dann auf Terassen Reisfeld an Reisfeld, und die haben eine wunderschöne Farbe. Und dann gibt es Bäche aus riesigen glattgeschliffenen runden weißen Felsen, die mich an Amerika erinnern. Es verzauberte mich wirklich und ich dachte mir wieder mal, dass es schade sei, dass ich in einer Großstadt und nicht auf dem Land gelandet bin. Ich hatte auch meine Kamera mit, nachdem ich extra bei einer Lehrerin sichergestellt hatte, dass das erlaubt ist, aber dann machte ich kein einziges Foto, weshalb ihr euch dass jetzt alles vorstellen müsst. Die Wanderung war anstrengend, aber durchaus machbar, und mit den Mittelschülern war es auch ganz lustig, wenn man mal davon absieht, dass ich mir ernsthafte Sorgen um die Siebtklässler (die Jüngsten) machte, weil sie so fertig schienen. Ich denke jedenfalls, dass die Lehrer jetzt keine Bedenken mehr haben, mich nächstes Mal bei der anderen Wanderung mitgehen zu lassen.

Ballfest

Ansonsten war natürlich noch das Ballfest, bei dem ich Volleyball spielte und leider schon im ersten Spiel verlor. Es war aber trotzdem lustig, wir schauten halt die ganze Zeit bei anderen Spielen zu und es war teilweise echt richtig spannend. Vor allem natürlich die Finale. Es erstaunte mich außerdem, wie extrem wichtig das für alle war. Ich hatte gedacht, dass es Spaß sei, aber alle strengten sich richtig an und wenn sie verloren brachen sie teilweise weinend zusammen. Und die Gewinner in den einzelnen Kategorien -Volleyball, Basketball, Tischtennis und Softball- bekamen Pokale, die jetzt in den Klassenzimmern stehen. Ansich finde ich Gewinnen nicht wichtig, aber so war es schon ein bisschen blöd, weil wir ja die ganze Zeit nichts zu tun hatten. Und als alles vorbei war war die Stimmung in meiner Klasse so "los, lasst uns Volleyball spielen!" Hatten wir ja schließlich zwei Tage nicht machen können (wenn man von dem einen Spiel absieht, das nicht richtig lustig gewesen war). Es war also ein Ballfest, bei dem wir weniger Ball spielten als normal. Es wäre schöner, wenn man einfach zwei Tage Ball spielen könnte, ohne Turnier, finde ich. Was schön war, war, dass wir pro Tag ein Eis und einen Saft kaufen konnten. Das ist etwas ganz besonderes, in dieser Hinsicht ist meine Schule also mal eher locker. Allerdings war es auch das Wahlversprechen von allen Schulsprecherkandidaten, soweit ich weiß.

Etwas anderes besonderes war, dass wir Kameras mitbringen durften (ich werde also demnächst mal Fotos einfügen, aber jetzt bin ich zu faul), und es hatten auch viel mehr Leute als sonst ihre Handys mit. Aber das wird eh immer lockerer, je weiter das Schuljahr vorranschreitet. Am Anfang dachte ich ja noch, dass sich wirklich jeder an das Handyverbot hält, aber inzwischen bringen nicht nur manche ihre Handys mit, sondern sie zeigen sich auch gegenseitig Fotos oder spielen sogar Spiele. Und während der WM schauten wir einmal in der Schule ein Spiel.

WM(-Fieber)

Ach so, viele haben mich gefragt, wie hier die WM war. Ja, es gab ein WM-Fieber, zumindest hätte ich das am Anfang noch gesagt. Vermutlich kein Vergleich mit Deutschland, aber es gab so eine Art Aufbruchsstimmung. Denn wie meine Freunde mir erklärten, ist es für Japan schon was besonderes, überhaupt bei der WM mitspielen zu können. Wie immer war die ganze Aufmerksamkeit auch sehr auf die japanische Mannschaft fixiert, und demzufolge erlosch die Begeisterung dann recht schnell wieder, sobald klar war, dass Japan keine Chance hatte. Das letzte Spiel Japans war auch fast das einzige Spiel, dass ich sah. Der zweite Faktor, der die WM-Begeisterung hier dämpfte, war nämlich, dass die Spiele um fünf Uhr morgens kamen. Und ich wusste nie, wann Deutschland spielte. Meine Freunde hielten mich aber auf dem Laufenden, was die Ergebnisse angeht. Das Finale sah ich dann und stand dafür montags um viertel nach fünf auf, das Spiel hatte um vier angefangen. Danach gratulierten mir die andern Schüler und auch die Lehrer, aber richtig wie WM war es für mich nicht. Ich konnte nicht mal sehen, wie sie den Pokal bekamen, da dann die Siebenuhrnachrichten begannen und deshalb einfach abgebrochen wurde, als gerade die Argentinier ihre Medaillen bekamen.

Kabuki

Was habe ich sonst noch gemacht? Ich habe mich mehrmals mit Freunden getroffen und war einmal beim Kabuki. Das war eigentlich ganz interessant, auch wenn ich wirklich sehr müde wurde. Aber ich bekam einen Englisch-guide, so konnte ich es wenigstens verstehen. Der ganze Jahrgang musste gehen und die allermeisten hatten keine Lust und meinten, sie würde sowieso schlafen. Ich wurde außerdem von jedem zweiten gefragt, ob ich schon mal Kabuki gesehen habe. Da es für sie alle auch das erste mal war, dass sie Kabuki sahen, fand ich die Frage doppelt unnötig, aber okay. Das Ereignis des Tages war, dass die Jahrgangsleiterin, die auch noch Japanischlehrerin ist, offenbar auch einschlief. Naja, mein Fazit ist, dass ich es schön finde, es gesehen zu haben, und dass es wirklich interessant war, dass normales Theater aber spannender ist.

Die anderen Austauschschüler

Dann war noch ein paar Mal Japanischkurs und das AFS-Sommerfest, bei dem ich eine tolle Rede über Deutschland hielt, die mir meine Gastmutter und Gastschwester beinahe wörtlich diktiert hatten :D Es war jedenfalls ein großartiger Tag, bei dem auch japanische Schüler waren, die jetzt im Juli ins Ausland gehen. Wir spielten Spiele und kochten draußen über Feuer gebratene Nudeln. Im Japanischkurs sind wir zu fünft, alle AFS-Austauschschüler hier in Yokohama. Ein Mädchen aus Thailand, Nu-Lek, und drei Jungen, Yijun aus China, José aus Paraguay und Hamilt aus Mexiko, und ich. Der Japanischkurs ist manchmal wirklich spannend, manchmal lustig, vorallem dann, wenn wir nicht lernen sondern reden, und manchmal echt langweilig, denn man merkt schon, dass es ziemliche Unterschiede zwischen unseren Japanischkenntnissen gibt.

Kritik an Japan

Ach so, nein, meine Freunde kennen meinen Blog nicht, zumindest die allermeisten, auch wenn viele wissen, dass ich einen schreibe. Eigentlich will ich auch lieber, dass sie ihn nicht kennen. Sie könnten es zwar eh nicht lesen, aber wenn sie es doch schaffe würden, ihn irgendwie zu übersetzen oder so, hätte ich Angst, dass sie ihn missverstehen würden. Ich bin ja nicht unglücklich hier. Ich bin einfach nur kritisch. Würde ich einen Blog über Deutschland schreiben, wäre der vermutlich genauso kritisch, obwohl ich Deutschland ja eigentlich mag. Vor allem, seit ich hier bin. Und den japanischen Traditionen stehe ich eigentlich nicht kritisch gegenüber. Eher der Einstellung, dass die Traditionen das wichtigste sind. Und das Japan so unglaublich toll ist. In Englisch lasen wir gerade auch einen Text, in dem Japan wirklich ein bisschen sehr schön dargestellt wurde. Das sagte sogar meine eine Freundin. Aber eigentlich sind Japaner nicht besonders kritisch und haben vor allem keine Ahnung von Politik. Auf dem Weg zum Kabuki sprach ich zum ersten Mal mit meinen Freunden über Politik. Sie erzählten mir nämlich, dass an der Haltestelle vor dem Kabuki das Parlament sei und fragten mich, ob es in Deutschland auch ein Parlament gäbe. Ich sagte ja, und dass die deutsche Bundeskanzlerin Merkel hieße und wir kamen auf Parteien zu sprechen. Ich glaube ich zählte ihnen fünf deutsche Parteien auf und erklärte ihnen sehr, sehr vereinfacht den Unterschied zwischen diesen. Und sie waren echt verblüfft. Darüber, dass es in Deutschland so viele Parteien gibt. Darüber, dass ich die aufzählen kann. Dass ich weiß, was diese Parteien wollen. Und dass ich dann auch noch eine Meinung über diese Parteien habe. Sie sagten ganz klar, dass sie keine Ahnung von Politik haben. Ich mag meine Freunde wirklich sehr gerne. Aber es ist trotzdem traurig. Übrigens gibt es in Japan die Todesstrafe, und sie wird auch angewand und ist sehr grausam. Am Samstag fiel mir das wieder ein, weil ich es in einem Fernsehfilm sah. Was die Leute, die ich kenne, so darüber denken, weiß ich allerdings nicht. Eine meiner VTs fragte mich neulich, ob es in Deutschland eingentlich auch so ein Land gäbe, das nicht gemocht wird, so wie es mit Japan und China und Korea (?) ist. Als ich verneinte, meinte sie, dass sei auch besser so. Es war das erste Mal, dass jemand das ansprach, deshalb fand ich es toll. Und dann auch noch mit Meinung. Übrigens gibt es hier auch kaum Nachrichten. Ich meine, morgens kommt etwas im Fernsehen, was ich erstmal als Nachrichten aufgefasst hatte, aber eigentich sind es nur Klatschmeldungen über irgendwelche Schauspieler oder wen auch immer. Immerhin habe ich mitbekommen, dass das Flugzeug über der Ukraine abgeschossen wurde, und auch dass Israel Raketen auf den Gaza-Streifen schießt. So ist es doch, oder? Auf jedenfall habe ich dass erst mit einer riesen Verspätung überhaupt gehört.

Clubs (Teil 2)

Jetzt zum Schluss noch mal zu Hakarons letztem Kommentar. Ich glaube, ich habe mich missverständlich ausgedrückt. Ich wunderte mich eigentlich nicht darüber, warum sie in die Clubs eintreten,sondern warum die Clubs so sind, wie sie sind. Warum sie eintreten weiß ich nämlich: Erstens müssen (ja, wirklich, sie sind verpflichtet) alle Mittelschüler in einen Club eintreten. Und wenn sie in die Oberschule kommen, bleiben sie halt meistens im Club. Denn zweitens wollen sie halt was machen, was ja auch wirklich verständlich ist. Die meisten wollen ja irgendein Hobby haben und man findet in den Clubs echt schnell Freunde. Aber es ist irgendwie etwas seltsam, wie diese Clubs sind. Sie sind einfach total hart, was bedeutet, dass man kaum Zeit für irgendetwas anderes hat. Das ist erstens schade, weil man sich halt für eine Sache entscheiden muss, und für mehr bleibt keine Zeit, vor allem, wenn man in einem Sportclub ist. Außerdem lastet echt ein extremer Druck auf den Leuten, zusätzlich zum Leistungsdruck in der Schule, den es ja eh schon gibt. Die Sportclubs sind natürlich körperlich sehr anstrengend, aber auch die Clubs wie Musik oder Theater trainieren gerade täglich für ihre Aufführungen im Herbst. Ein Mädchen aus dem Musikclub verbrachte deshalb letzte Woche mal eine ganze Stunde abwechselnd mit Schlafen und Weinen, weil sie so fertig war. Und dann ärgern sich die Lehrer natürlich auch noch darüber, dass die Leute im Unterricht oder zumindest während der Reden des Schulmeisters schlafen. Aber ich denke, dass es vielleicht wirklich nicht geht. Dass man nicht jeden Tag bis nachmittags Unterricht und morgens, mittags und abends Clubtraining haben, und für die täglichen Kurztests lernen, und Hausaufgabe machen, und auch noch genug schlafen kann. Das ist das, worüber ich mich eigentlich wunderte.

Ja, das war jetzt soweit das, was ich in der letzten Zeit machte. Oft war es nicht ganz einfach. Oft war es anstrengend und ich war traurig oder wusste nicht, was ich machen sollte. Das liegt wohl daran, dass es jetzt wirklich Alltag geworden ist. Der Unterricht ist nicht mehr neu und aufregend und dafür jetzt teilweise ganz schön langweilig. Es gab Missverständnisse und Situationen, in denen ich mich echt alleine und hilflos fühlte. Und ich kann halt immer noch nicht so richtig Japanisch. Aber ich bin trotzdem glücklich. Ich wollte das jetzt nicht schreiben, damit ihr euch Sorgen macht oder mir Ratschläge gebt. Das braucht ihr nicht, es geht mir gut. Ich dachte mir nur, dass mein Blog so klingt, als wäre alles immer wunderschön, aber so ist es halt auch nicht. 

Ansonsten finde ich immer noch, dass die Zeit zu schnell vergeht, und wundere mich auf der anderen Seite immer wieder darüber, wie viel verschiedene Dinge man in doch so kurzer Zeit machen kann.

Okay, ich höre jetzt wirklich auf!

Pauline

 

Sonntag, 13.07.2014

#27 Davon, einen Taifun zu verpassen

Hallo mal wieder nach langer Zeit!

Ja... Wo soll ich anfangen? Ich komme echt nicht mehr mit Schreiben hinterher. In einer Woche fangen meine Sommerferien an und da ich dann, neben Clubtraining, Reisen, Sommercamp, Schulaktivitäten, Treffen mit Freunden und Lernen hoffentlich auch etwas Freizeit habe, werde ich versuchen, den Blog hier einigermaßen auf den neuesten Stand zu bringen.  

"Ein Taifun raßt auf Japan zu"

Sonntag vor einer Woche, als ich heimkam, erwähnte Otoosan zum ersten Mal, dass ein Taifun im Kommen sei. Man hätte zwar erwartet, dass er Japan nicht trifft, aber es wurde vorhergesagt, dass er einen Bogen macht, oder sogar zwei, und so ganz Japan trifft. Mein erster Taifun... Da meine Gastfamilie nicht allzu besorgt schien, machte auch ich mir keine Sorgen. Trotzdem dominierte er die ganze Woche. Am Anfing hieß er, nach Yokohama käme er am Freitag, und alle machten sich Hoffnungen auf einen Tag Schulfrei. Mit der Zeit verschob sich das aber immer weiter nach hinten, so dass es dann hieß, er käme in der Nacht auf Samstag oder am Samstagmorgen. Nachdem er Okinawa erreicht hatte, sah man dann zwei Tage lang im Fernsehen Bilder von vom Wind umgeworfenen Autos und umgestürzten Bäumen. Vor allem aber aus Nagano, wo es aufgrund des vom Taifun vor sich hergeschobenen Regens eine schreckliche Überschwemmung gab. Wobei, Überschwemmung trifft es eigentlich nicht richtig. Es war ein kleiner Fluss, der extrem reißend wurde. Ganz verstehe ich es nicht, aber es gab praktisch eine Flutwelle, die zig Bäume umriss und einen Haufen riesiger Steine mit sich trug. Und die leider in ein Dorf raste. Dort waren dann die Häuser bis in zwei Meter Höhe braun und hatten teilweise Löcher von diesen Steinen. Die liegen da jetzt rum und wo vorher eine Straße oder so war ist jetzt eine braune Schlammwüste.

Zufall und der Kampf mit der Natur

Gut, ich habe es nicht selbst erlebt. Der Grund, weshalb ich so ausführlich davon berichte, ist, dass mir dadurch so richtig deutlich aufgefallen ist, wie viel Zufall hier im Spiel ist. Ich meine, ich habe ja nur "Japan" gewählt, alles andere wurde von irgendwelchen Leuten nach irgendwelchen Kriterien entschieden. Das betrifft die Gastfamilie, die LP, die Gastschule, den Wohnort, eigentlich alles. Jetzt ist es eben so gekommen, dass ich in Yokohama bin, wo ich von der Regenzeit so gut wie nichts bemerkt habe, es war nicht mehr Regen als in Deutschland. Aber genauso gut hätte ich auch dort in Nagano sein können oder in Okinawa, wo der Taifun war, oder in Tochigi, wo es vor wenigen Wochen extreme Überschwemmungen gab oder etwas weiter nördlich (z.B. in Fukushima) wo es mal wieder ein Erdbeben und einen 20cm hohen Tsunami gab. Eigentlich gab es im letzten Monat eigentlich ständig irgendwo in Japan Überschwemmungen nach starkem Regen. Selbst in Shibuya. Dort war ich nämlich einmal kurz. Für den Tag war in Tokyo unwetterartiger Regen angesagt, weshalb ich die ganze Zeit einen Schirm mit mir rumschleppte. Stattdessen war es sonnig und heiß. Um fünf vor drei machte ich dann bei strahlend blauem Himmel ein paar Fotos von der berühmten Kreuzung in Shibuya, dann stiegen wir in den Zug nach Yokohama. Wie ich aber am Abend im Fernsehen sah, fing es eine gute halbe Stunde später so stark an zu regnen, dass nach zwanzig Minuten die besagte Kreuzung überschwemmt war und es Wasserfälle auf die unterirdischen Bahnsteige gab. Ich konnte es echt nicht glauben. Das ist die zweite Sache, die mir so richtig klar wurde: Natur in Deutschland und Natur in Japan sind einfach vollkommen unterschiedliche Dinge. Wenn ich meinen Freunden in der Schule erzähle, dass es in Deutschland weder Erdbeben noch Vulkane, weder Taifune noch Tsunami gibt, können sie es wiederrum nicht glauben. Hier, so erklärte meine Gastmutter mir, ist es eigentlich immer ein Kampf mit der Natur. Und die Häuser werden wirklich nur für 40 Jahre oder so gebaut, danach werden sie abgerissen und neu gebaut. Apropos Häuser, es gibt hier Häuser aus Wellblech. Und zwar nicht irgendwo, sondern ungefähr fünf Minuten Fußweg von unserem Haus entfernt. Das ist mir irgendwann mal so richtig aufgefallen und es hat mich etwas verstört. Denn da Wäsche im "Garten" hing, würde ich sagen, dass es tatsächlich ein Wohnhaus ist. Aus rostendem Wellblech. Was ist das hier eigentlich für eine Wohngegend? Immerhin schicken meine Gasteltern ihre Kinder auf Privatschulen. Naja, Häuser sehen hier jedenfalls im Allgemeinen billiger und total anders als in Deutschland aus.

Mein erster Taifun (...?)

Und jetzt -endlich- zurück zum Taifun. Am Donnerstagnachmittag hofften wir immer noch auf Schulfrei, unsere Lehrerin sagte aber, dass es kein Schulfrei gäbe. So verging der ganze Home Room. Erst ganz am Ende teilte sie die Blätter aus, auf denen stand, dass wir am Freitag erst um zehn nach zehn Schule hätten. Als die anderen das lasen, fingen sie an zu schreien vor Freude. Und die zweite schöne Nachricht: kein Clubtraining am Donnerstag! Noch das Gebet und die Verbeugung und dann tanzten sie herum und fielen sie sich gegenseitig in die Arme. Ich freute mich auch, aber ich fragte mich trotzdem, warum sie dann eigentlich in die Clubs gehen, wenn sie so glücklich darüber sind, einmal nicht hingehen zu müssen. Am Abend holte Otoosan dann ein paar Sachen vom Balkon rein und sagte mir, ich solle meine Rollläden schließen. Ich bemerkte außerdem, dass ich eine Mail von AFS bekommen hatte, in der sie schrieben, ich solle in meinem Handbuch "Tips for personal safety in Japan" den Abschnitt über Taifune lesen. Und dann, dass ich diesen Abschnitt nicht habe. Ich dachte mir ja schon in Deutschland, dass AFS Deutschland vergessen hatte, mir ein paar Seiten (oder besser das halbe Buch) zu schicken. Aber Okaasan meinte, der Taifun sei eh nicht so stark und auch auf die anderen Abschnitte kann ich glaube ich gut verzichten. Ich meine "terror attacks" ist schon überflüssig, oder? Dann ging ich ins Bett und konnte ja schön lange schlafen. Am nächsten Morgen erwartete mich dann großartiges Wetter, das mich an Sommerferien erinnerte. Ganz kapierte ich es nicht, denn eigentlich hatte ich ja mit einem Taifun gerechnet, oder zumindest irgendwann im Laufe des Tages. Aber so allmählich wurde mir dann klar, dass der Taifun wohl schon vorbei war, und ich ihn tatsächlich verschlafen hatte. Er war wohl wirklich nicht stark. Und somit war dann diese Taifun-Woche auch vorüber.

Pauline