Montag, 08.12.2014

#42 Nach langer Zeit - Von Putzlappen und Toleranz

Hallo,

tut mir leid, dass ich so lange nichts von mir hab hören lassen.

Meine Zeit hier neigt sich so langsam dem Ende zu. Ich weiß, es sind noch zwei Monate. Aber zwei Monate sind nicht viel. An manchen Tagen verpasst mir diese Erkenntnis einen Schock. Aber es gibt auch immer öfter Tage, an denen ich mich, zumindest ein kleines bisschen, darauf freue, wieder heimzukommen.

In Ibaraki und auf der Klassenfahrt war es sehr schön. Aber seit ich wieder in Yokohama war, hatte ich dann zu nichts Lust. Vor allem nicht zum Lernen (und auch nicht zum Blogschreiben). Ein bisschen war es wohl Erschöpfung, und ein bisschen lag es wohl auch daran, dass ich von meiner Schule hier genervt war. In Ibaraki habe ich in einer Woche drei Mal mit Freunden was gemacht. Das entspricht wahrscheinlich zwei Monaten hier. Meine Freunde haben fast nie Zeit und nach der Schule, wenn viele Schüler noch essen oder Purikura machen gehen, ist es für uns ja verboten, einen anderen als den direkten Heimweg zu nehmen. Ich würde so gerne öfter was mit Freunden machen. Ich denke, dass ist mir in Ibaraki und auf der Klassenfahrt noch mal richtig klar geworden, so dass ich dann ein bisschen niedergeschlagen war.

Davon, Putzlappen zu nähen

Freitag vor einer Woche war es dann besonders unschön. Ich wollte meine Lehrerin eigentlich nur schnell was fragen und dann früh - wegen der Examen, die letzte Woche waren, hatten wir keinen Club - heimgehen, aber sie fing an, über tausend Sachen zu reden und mir eine Menge Fragen darüber, welchen Unterricht ich jetzt eigentlich mitmachen will, zu stellen, und ich konnte die Fragen nicht beantworten und hatte keine Lust, darüber zu reden und war erkältet und verstand nicht, warum sie mich einfach nicht verstand. Als ich meinen Freunden danach erklärte, was ich will, verstanden die es, aber meine Lehrerin, auch wenn ich weiß, dass sie wirklich versucht, alles gut für mich zu machen, versteht mich nicht. Außerdem sagte sie mir, dass ich praktisch aus dem Handarbeitsunterricht, den ich zusammen mit dem Jahrgang unter mir hatte, rausgeworfen wurde. Weil ich etwas geschrieben hatte, was die Lehrerin als Desinteresse aufgefasst hat. Ich gebe zu, es war wirklich nicht nett, was ich geschrieben habe. Wir mussten nämlich Putzlappen nähen. Das heißt, man bekommt einen großen Lappen, den man vierteln muss und dann nach ein paar Regeln zusammennähen. Die Lappen benutzen wir dann später, um mit ihnen die Schule zu putzen, was wir ja auch selbst machen. Meiner Meinung nach könnte man mit den Lappen auch gut putzen, ohne sie vorher zusammen zu nähen, aber ich denke, es ist wahrscheinlich einfach billiger als richtige Sachen zu nähen. Während dem Nähen durften wir uns nicht mal unterhalten, was uns alle am meisten aufregte. Zwei Stunden Nähen ist ja schön und gut, aber zwei Stunden schweigend Nähen ist wirklich blöd. Vor allem verstehe ich den Grund nicht. Also gut, so nähten wir also und unterhielten uns natürlich trotzdem etwas, und ich gab mir wirklich Mühe und mein Lappen war auch ganz schön ordentlich. Und dann mussten wir am Ende ein Kansou schreiben, das müssen wir ständig, da schreibt man, wie man es fand oder was man gefühlt hat, was einen interessiert hat oder wo man Probleme bzw. Erfolge hatte. Bei der Klassenfahrt oder so ist das verständlich, aber was soll man denn schreiben, wenn man Putzlappen näht? Also schrieb ich, dass es langweilig sei und schöner, wenn wir dabei reden dürften und dass ich froh sei, dass ich das in Deutschland nicht machen müsste. Ich gebe zu, dass es nicht nett war und im Nachhinein tat es mir auch etwas leid, aber ich saß immerhin inmitten von 45 Leuten, die alle das gleiche dachten. Meine Sitznachbarn fanden es also sehr lustig. Die Lehrerin aber offenbar nicht, jedenfalls sagte sie danach meiner Lehrerin, dass ich lieber nicht mehr kommen sollte, da ich offenbar kein Interesse daran hätte. Da ärgerte ich mich ziemlich über mich selbst. Vorgestern habe ich sie allerdings wieder getroffen, und sie war total nett und es klang eher so, als ob sie einfach denkt, dass es für mich schöner ist, wenn ich nicht komme.

Examen und AFS-Feier

Letzte Woche hatten wir jetzt also Examen. Ich machte wieder Englisch und Mathe und diesmal außerdem Bio. Und am Freitag wurde mir erlaubt, dass ich den ganzen Vormittag in der Bibliothek lernen darf, weil gestern mein Japanischtest war. War ganz okay, hoffe ich. Das Ergebnis erfahre ich im Januar. Für die Schulexamen habe ich leider erst sehr spät, ungefähr am Samstag, angefangen zu lernen, was man an meinen Punkten auch sieht, aber ist ja eigentlich egal. Nur ein paar Lehrerwundern sich vielleicht.  

In den letzten Wochen habe ich außerdem viel mit den anderen Austauschschülern gemacht, jede Woche, manchmal sogar Samstag und Sonntag. An einem Tag war zum Beispiel die 100-Jahre-AFS/60-Jahre-AFS-Japan-Party. Dort waren viele Austauschschüler, viele, die ich seit März nicht mehr getroffen hatte und manche, die ich noch nicht kannte, weil sie erst im August kamen. Wir waren ungefähr 10 Leute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und redeten so einen ganzen Tag lang Deutsch. Außerdem machten wir Stände über unsere Länder und während die aus den anderen Ländern alle tolle Sachen mitgebracht hatten, hatte von uns 10 (wir waren zusammen) nur ein Schweizer ein paar Kalender und ich ein paar Fotos mitgebracht, weshalb der Stand ganz schön karg aussah. Die eine Hälfte der Leute konnte außerdem noch kein Japanisch und die andere verkrümelte sich immer, so dass ich die meiste Zeit alleine die Fotos irgendwelchen Besuchern erklärte. Aber es machte eigentlich großen Spaß. Außerdem kam eine japanische Prinzessin, ich habe leider gerade den Namen vergessen, und redete auch mit mir (und mit allen anderen). Das war toll. Dabei fällt mir ein, dass ich Sonntag vor einer Woche außerdem den japanischen Premierminister gesehen habe, der aus dem Auto zu uns winkte, nachdem er wahrscheinlich im Ramen des Wahlkampfes (in einer Woche sind hier Wahlen) eine Rede hielt oder so.

Wie tolerant sind wir?

Was außerdem interessant dabei war, dass ich die anderen Austauschschüler so viel traf, war, dass ich mitbekam, dass viele AFS Japan richtig blöd finden. Weil die so streng sind. Irgendwie hatte ich nie ein Problem mit denen. Weil ich sowieso keine Sachen machen will, die AFS Japan für ungut hält, total brav bin und in meiner Gastschule als perfekte Austauschschülerin gelte, was sich dann auch positiv auf die Meinung von AFS und somit ihre Strengheit auswirkt, denke ich. Außerdem kann ich bei meiner Schule wirklich schlecht darüber meckern, dass AFS streng wäre. Also, für die, die demnächst nach Japan gehen, wenn ihr vorhabt, viel mit Austauschschülern zu machen oder weitere Wege bis nach Tokyo zu fahren oder irgendwo übernachten wollt oder ähnliche Dinge, könntet ihr hier Probleme bekommen. Naja, manche Sachen sind schon richtig gemein, weil es zum Beispiel extrem vom Chapter abhängt, was erlaubt ist und was nicht, und dass viele Regeln nirgends festgeschrieben sind. Aber andere Dinge fand ich eigentlich auch ziemlich erwartbar. Zum Beispiel sagen viele hier, dass sie nicht wie Kinder behandelt werden wollen, weil sie immerhin schon 16 oder 17 sind. Aber es ist eben so, dass 16-Jährige hier in den Augen der meisten noch als Kinder gesehen werden (man gilt ungefähr so lange als Kind, wie man in der Oberstufe ist. Volljährig wird man aber erst mit 20 und Alkohol sowie Zigaretten sind natürlich auch erst ab 20 erlaubt). Aber das stand eigentlich von vornherein in den Unterlagen, die wir bekamen. Genauso, wie dass wir nicht reisen dürfen und dass es unerwünscht ist, dass wir viel mit anderen Austauschschülern machen.  Außerdem sagen viele Südamerikaner, dass es doch albern sei, ihnen erklären zu wollen, dass Tokyo gefährlich sei, wenn man mal überlegt, wo sie herkommen. Das ist es wahrscheinlich tatsächlich.

Aber ich kam trotzdem etwas ins Grübeln. Wie tolerant sind wir Austauschschüler eigentlich? Ich meine, wir erwarten von jedem Japaner hier, dass er uns verzeiht, wenn wir ihn unwissentlich in unhöflichem Japanisch ansprechen oder irgendwelche Verhaltensregeln missachten. Wir sehen so viele Dinge und denken uns, das ist schlecht, das ist in meinem Land besser. Und klar, es ist ja auch gut, sich eine Meinung zu bilden. Aber andererseits haben wir uns ja alle freiwillig dazu entschieden einen Schüleraustausch nach Japan zu machen. Für was, wenn wir im Unterricht schlafen, die Hausaufgaben nicht machen, während alle die Tests schreiben Ferien haben, nicht mit unseren Gastfamilien sprechen und auf all die Rechte, die wir in unseren Heimatländern hatten, bestehen? Vielleicht, dachte ich mir irgendwann, sind wir ja eigentlich auch intolerant. Man muss ja nicht alles toll finden. Man soll nicht alles toll finden, denke ich. Aber wenn man sich entscheidet, als Schüler in ein Land zu gehen, in dem Schüler als Kinder gelten, dann sollte man sich dem vielleicht beugen. Oder nicht? Auch andere Dinge sind mir aufgefallen. Zum Beispiel, dass es viel mehr Menschen als in Deutschland gibt, die man respektiert oder verehrt. Das fängt schon beim Verbeugen vor dem Unterricht an oder dabei, was für eine hohe Stellung der Schulleiter hat. Mich nervt das oft. Unser Schulleiter hier ist eigentlich sehr freundlich. Aber man hätte nie das Gefühl, dass man zu ihm gehen könnte, wenn man ein Problem hat. Aber irgendwann dachte ich mir, dass auch das wohl einfach ein Teil der Kultur hier ist. Klar, war mir eigentlich von vornherein klar, aber ich hatte noch nie wirklich darüber nachgedacht. Und auf einmal fragte ich mich, warum es mich beim Aikido eigentlich noch nie gestört hat, mich tausendmal vor dem Meister zu verbeugen.

Das war jetzt ein etwas unstrukturierter Eintrag mit einer seltsamen Auswahl an Themen, aber ich will ihn eifach endlich mal veröffentlichen, weil ich schiebe das schon so lange vor mir her und mit jedem Tag, an dem neue Dinge geschehen, wird es schwerer, alles aufzuschreiben. Vielleicht klang das was ich geschrieben habe alles etwas negativ, aber das sollte es gar nicht. Es geht mir gut. Ich versuche, bald mal wieder zu schreiben.

Pauline