Mittwoch, 21.01.2015

#47 Japanisches Neujahr

Ein grauer Tag. Am Morgen schneite es noch, feine Flocken, die man fast nur sah, wenn sie auf unseren schwarzen Mänteln fielen und die schmolzen, sobald sie den Boden berührten, die aber ein prasselndes Geräusch auf den Blättern von Büschen und Bäumen verursachten. Ab Mittag dann Regen. Und laut Wetterbericht 6grad, wahrscheinlich der kälteste Tag bisher. Nach vier lief ich im Regen meinen Freunden hinterher zum Bahnhof. Sie redeten darüber, wie fertig sie sind. Wir alle schlafen im Unterricht ein. Darüber dass sie nichts verstehen. Selbst die, die bisher ohne Nachhilfeschule ausgekommen ist, hat jetzt beschlossen, doch zu gehen, einmal die Woche von 6 bis 9Uhr abends. Darüber, dass sie nicht wissen, wie sie alles schaffen sollen, dass ihre Zeit nicht reicht. Ich wünsche mir auch Zeit. Zeit um ganz normale Wochenenden mit meiner Gastfamilie verbringen zu können. Zeit um zum Aikido zu gehen. Zeit um mich mit Freunden zu treffen. Zeit um japanisches Essen zu genießen. Zeit um zu lesen, Tagebuch zu schreiben, spazieren zu gehen, mit Riki zu spielen. Zeit um zu schlafen. Ich bin wirklich so extrem müde. Ich schlafe um elf und kann mich in der Schule trotzdem nicht wachhalten. Aber ich hatte auch schon ewig keinen freien Tag. Mir wird oft gesagt, ich solle die restliche Zeit hier genießen, und das versuche ich, was zur Folge hat, dass ich selbst am Wochenende immer von morgens bis abends beschäftigt bin. Ich kann gar nicht mehr daran erinnern, wann ich zum letzten Mal ausgeschlafen habe. In den Sommerferien? Ich versuche, auch die Zeit alleine zu genießen. Auf dem Heimweg schaue ich mir alles genau an, den Weg, den ich jetzt schon so gut kenne. Wie oft ich wohl schon über die Brücke gelaufen bin? Da gibt es die Löcher im Zaun, durch die man winken kann. Die Palmen, immer noch ein Zeichen dafür, dass ich weit weg bin. All die vertrauten Hauseingänge, die Strommasten und Appartmenthäuser. Wenn ich irgendwann mal wieder nach Yokohama komme, an was werde ich mich dann noch erinnern können? Was wird überhaupt noch da sein? Schon jetzt weckt es ein wehmütiges Gefühl in mir, als wären es jetzt schon nich mehr als Erinnerungen.

Aber egal, wie schwer mir der Abschied hier fällt, ich freue mich inzwischen wirklich darauf, wieder nach hause zu kommen. Ich würde vielleicht nicht sagen, dass 11 Monate lang genug sind, eher, dass ich ja von vornherein wusste, wann das Ende sein würde, und so viel Zeit hatte, um mich daran zu gewöhnen. Und jetzt wird meine Freude mit jedem Tag größer. Ich freue mich auf meine Familie, darauf Freunde zu treffen, auf deutsches Essen, mein Haus, Frankfurt. Ich freue mich darauf, nicht mehr den Unterricht hier besuchen zu müssen, der mir gerade richtig zum Hals raus hängt. Ich freue mich auf Ironie und manche Verhaltensweisen, die es hier nicht gibt.

 Neujahr

Der erste Brauch zu Neujahr ist, dass man das Haus putzt. Ich hatte das Glück, nur für mein Zimmer verantwortlich zu sein, aber selbst damit bin ich leider nicht fertig geworden. Es hat einfach Ewigkeiten gebraucht, um all die Arbeitsblätter und so Zeug zu sortieren. Außerdem stellt man sich ins Haus einen Turm aus O-Mochi mit Manderine oben drauf. O-Mochi wird aus zerstampften Reis hergestellt, es ist lecker aber etwas schwer zu essen, weil es extrem zäh ist. Zu Neujahr ist man es in allen möglichen Variationen (gebraten mit Soyasauce und Nori, gebraten mit irgendwas, in einer Suppe) und angeblich sterben jedes Jahr eine Menge Leute, weil sie daran ersticken. Vor die Haustür stellt man sich Schmuck aus Bambus und Blättern. Am 31. bleibt man bis Mitternacht auf. Man isst meistens Soba, dass sind lange Nudeln aus Buchweizenmehl (glaub ich). Es ist nicht so ganz klar, aber wahrscheinlich entstand dieser Brauch, weil sie lang sind und so ein langes Leben verkörpern sollen. Ein anderer, noch wichtigerer, wenn auch nicht so traditioneller Bestandteil des 31. ist das Fernsehen. Es gibt mindestens zwei berühmte Sendungen, die eine ist eine Art Gesangswettbewerb, die andere ist eine Art Rollenspiel, in der ungefähr 5 Leute auftreten, die nicht lachen dürfen, und geschlagen werden, wenn sie es doch tuen. Beide dauern um die 6 Stunden und es ist klar, dass man fernsieht. Silvester ist hier zwar wichtig, aber ziemlich still. Nichts von wegen mit Freunden feiern oder Spiele spielen oder so. Um Mitternacht werden die Glocken an jedem Schrein 108 Mal geläutet und so bald sie wenigstens einen Schlag davon gehört haben, schlafen viele. In Yokohama gibt es zusätzlich noch den Brauch, dass die Schiffe im Hafen um 12 Uhr tuten. Feuerwerk gibt es jedenfalls nicht. An Neujahr isst man dann O-Sechi-Ryouri. Das ist ein art Riesen-Bento (Bento=Lunchbox), in der eine Menge Dinge sind, die man normalerweise nicht isst. Es gibt Sashimi (Rohen Fisch) und viele andere leckere und teure Dinge, aber auch traditionelle, die kaum jemandem schmecken. Früher aß man O-Sechi mindestens 3 Tage lang, weshalb es auch als Bento hergestellt wurde. Außerdem trinkt man ein bisschen japanischen Schnaps, auch Kinder (und er schmeckt überhaupt nicht gut!). Und Kinder bekommen von ihren Verwandten Geld geschenkt. Als wir es von Otoosan bekamen, knieten wir uns hin und verbeugten uns kniend und sagten richtig höflich "あけましておめでとうございます。今年もよろしくお願いします" Es war ein etwas seltsames Gefühl. Früher waren die Geschäfte nach Neujahr mindestens einen Tag geschlossen (deshalb auch das Bento-Essen), aber in den letzten Jahren hat selbst das nachgelassen, so dass jetzt alle großen Geschäfte selbst am 1. 1. ab morgens um zehn geöffnet sind. Das ist wichtig, denn ein weiterer wichtiger Bestandteil Neujahrs sind Fuku-Bukuro (Reichtums-Tüten). Das sind Tüten, die man praktisch überall kaufen kann, selbst beim Bäcker, und von denen man nicht weiß, was drin ist. Man kann also zum Beispiel Kleider im Wert von 20000 yen für 10000 yen kaufen. Wenn einem alles gefällt, hat man Glück, man kann aber natürlich auch ziemliches Pech haben. Inzwischen kann man sich aber angeblich sogar schon die Kleidergrößen aussuchen. Ich habe mir jedenfalls keine gekauft, ich war stattdessen mit Shiori, Okaasan undObaasan im Kino, was sehr untypisch für Neujahr ist. Wir haben den "Hobbit" gesehen, den Shiori und Okaasan gerne sehen wollten. Ich wurde praktisch mitgeschleppt und Obaasan kam mit, weil ihr im Haus so langweilig war, weil ja überhaupt nichts Schönes im Fernsehen kam. Japaner sind so extrem abhängig vom Fernsehen. Das ist eins der Dinge, die ich nicht vermissen werde. Am 2. Januar gingen wir zu einem Schrein, zur hatsumode, dem ersten Schreinbesuch im neuen Jahr. Da wir morgens gingen, was es noch "leer", aber auf dem Rückweg sahen wir, wie die Leute ewig anstanden. Dabei war es wirklich kalt, aber die meisten wollen halt gerne innerhalb der ersten zwei drei Tage gehen. Man betete und konnte eine Menge Glücksbringer kaufen und Orakel-Zettel ziehen. Ich habe das Allerbeste gezogen! Danach gab es ungefähr eine Woche Schulferien, aber Feiertage gibt es eigentlich nicht. Am 7. Januar oder so isst man Reisbrei. Reisbrei isst man normalerweise, wenn man krank ist, aber an diesem Tag macht man sieben bestimmte Kräuter rein und es soll dazu dienen, den Bauch zu heilen, nachdem man über Neujahr so viel gegessen hat. Irgendwann demnächst isst man dann noch mal Mochi in einer süßen Anko-Suppe, so weit ich weiß.

Unser Hausschrein mit (fake) Mochiberg Schmuck wie man ihn vor Haustüren findet Bei der hatsumode Glücksbringer Ein Riesenglücksbringer für über 200 euro

Pauline