Sonntag, 13.07.2014

#27 Davon, einen Taifun zu verpassen

Hallo mal wieder nach langer Zeit!

Ja... Wo soll ich anfangen? Ich komme echt nicht mehr mit Schreiben hinterher. In einer Woche fangen meine Sommerferien an und da ich dann, neben Clubtraining, Reisen, Sommercamp, Schulaktivitäten, Treffen mit Freunden und Lernen hoffentlich auch etwas Freizeit habe, werde ich versuchen, den Blog hier einigermaßen auf den neuesten Stand zu bringen.  

"Ein Taifun raßt auf Japan zu"

Sonntag vor einer Woche, als ich heimkam, erwähnte Otoosan zum ersten Mal, dass ein Taifun im Kommen sei. Man hätte zwar erwartet, dass er Japan nicht trifft, aber es wurde vorhergesagt, dass er einen Bogen macht, oder sogar zwei, und so ganz Japan trifft. Mein erster Taifun... Da meine Gastfamilie nicht allzu besorgt schien, machte auch ich mir keine Sorgen. Trotzdem dominierte er die ganze Woche. Am Anfing hieß er, nach Yokohama käme er am Freitag, und alle machten sich Hoffnungen auf einen Tag Schulfrei. Mit der Zeit verschob sich das aber immer weiter nach hinten, so dass es dann hieß, er käme in der Nacht auf Samstag oder am Samstagmorgen. Nachdem er Okinawa erreicht hatte, sah man dann zwei Tage lang im Fernsehen Bilder von vom Wind umgeworfenen Autos und umgestürzten Bäumen. Vor allem aber aus Nagano, wo es aufgrund des vom Taifun vor sich hergeschobenen Regens eine schreckliche Überschwemmung gab. Wobei, Überschwemmung trifft es eigentlich nicht richtig. Es war ein kleiner Fluss, der extrem reißend wurde. Ganz verstehe ich es nicht, aber es gab praktisch eine Flutwelle, die zig Bäume umriss und einen Haufen riesiger Steine mit sich trug. Und die leider in ein Dorf raste. Dort waren dann die Häuser bis in zwei Meter Höhe braun und hatten teilweise Löcher von diesen Steinen. Die liegen da jetzt rum und wo vorher eine Straße oder so war ist jetzt eine braune Schlammwüste.

Zufall und der Kampf mit der Natur

Gut, ich habe es nicht selbst erlebt. Der Grund, weshalb ich so ausführlich davon berichte, ist, dass mir dadurch so richtig deutlich aufgefallen ist, wie viel Zufall hier im Spiel ist. Ich meine, ich habe ja nur "Japan" gewählt, alles andere wurde von irgendwelchen Leuten nach irgendwelchen Kriterien entschieden. Das betrifft die Gastfamilie, die LP, die Gastschule, den Wohnort, eigentlich alles. Jetzt ist es eben so gekommen, dass ich in Yokohama bin, wo ich von der Regenzeit so gut wie nichts bemerkt habe, es war nicht mehr Regen als in Deutschland. Aber genauso gut hätte ich auch dort in Nagano sein können oder in Okinawa, wo der Taifun war, oder in Tochigi, wo es vor wenigen Wochen extreme Überschwemmungen gab oder etwas weiter nördlich (z.B. in Fukushima) wo es mal wieder ein Erdbeben und einen 20cm hohen Tsunami gab. Eigentlich gab es im letzten Monat eigentlich ständig irgendwo in Japan Überschwemmungen nach starkem Regen. Selbst in Shibuya. Dort war ich nämlich einmal kurz. Für den Tag war in Tokyo unwetterartiger Regen angesagt, weshalb ich die ganze Zeit einen Schirm mit mir rumschleppte. Stattdessen war es sonnig und heiß. Um fünf vor drei machte ich dann bei strahlend blauem Himmel ein paar Fotos von der berühmten Kreuzung in Shibuya, dann stiegen wir in den Zug nach Yokohama. Wie ich aber am Abend im Fernsehen sah, fing es eine gute halbe Stunde später so stark an zu regnen, dass nach zwanzig Minuten die besagte Kreuzung überschwemmt war und es Wasserfälle auf die unterirdischen Bahnsteige gab. Ich konnte es echt nicht glauben. Das ist die zweite Sache, die mir so richtig klar wurde: Natur in Deutschland und Natur in Japan sind einfach vollkommen unterschiedliche Dinge. Wenn ich meinen Freunden in der Schule erzähle, dass es in Deutschland weder Erdbeben noch Vulkane, weder Taifune noch Tsunami gibt, können sie es wiederrum nicht glauben. Hier, so erklärte meine Gastmutter mir, ist es eigentlich immer ein Kampf mit der Natur. Und die Häuser werden wirklich nur für 40 Jahre oder so gebaut, danach werden sie abgerissen und neu gebaut. Apropos Häuser, es gibt hier Häuser aus Wellblech. Und zwar nicht irgendwo, sondern ungefähr fünf Minuten Fußweg von unserem Haus entfernt. Das ist mir irgendwann mal so richtig aufgefallen und es hat mich etwas verstört. Denn da Wäsche im "Garten" hing, würde ich sagen, dass es tatsächlich ein Wohnhaus ist. Aus rostendem Wellblech. Was ist das hier eigentlich für eine Wohngegend? Immerhin schicken meine Gasteltern ihre Kinder auf Privatschulen. Naja, Häuser sehen hier jedenfalls im Allgemeinen billiger und total anders als in Deutschland aus.

Mein erster Taifun (...?)

Und jetzt -endlich- zurück zum Taifun. Am Donnerstagnachmittag hofften wir immer noch auf Schulfrei, unsere Lehrerin sagte aber, dass es kein Schulfrei gäbe. So verging der ganze Home Room. Erst ganz am Ende teilte sie die Blätter aus, auf denen stand, dass wir am Freitag erst um zehn nach zehn Schule hätten. Als die anderen das lasen, fingen sie an zu schreien vor Freude. Und die zweite schöne Nachricht: kein Clubtraining am Donnerstag! Noch das Gebet und die Verbeugung und dann tanzten sie herum und fielen sie sich gegenseitig in die Arme. Ich freute mich auch, aber ich fragte mich trotzdem, warum sie dann eigentlich in die Clubs gehen, wenn sie so glücklich darüber sind, einmal nicht hingehen zu müssen. Am Abend holte Otoosan dann ein paar Sachen vom Balkon rein und sagte mir, ich solle meine Rollläden schließen. Ich bemerkte außerdem, dass ich eine Mail von AFS bekommen hatte, in der sie schrieben, ich solle in meinem Handbuch "Tips for personal safety in Japan" den Abschnitt über Taifune lesen. Und dann, dass ich diesen Abschnitt nicht habe. Ich dachte mir ja schon in Deutschland, dass AFS Deutschland vergessen hatte, mir ein paar Seiten (oder besser das halbe Buch) zu schicken. Aber Okaasan meinte, der Taifun sei eh nicht so stark und auch auf die anderen Abschnitte kann ich glaube ich gut verzichten. Ich meine "terror attacks" ist schon überflüssig, oder? Dann ging ich ins Bett und konnte ja schön lange schlafen. Am nächsten Morgen erwartete mich dann großartiges Wetter, das mich an Sommerferien erinnerte. Ganz kapierte ich es nicht, denn eigentlich hatte ich ja mit einem Taifun gerechnet, oder zumindest irgendwann im Laufe des Tages. Aber so allmählich wurde mir dann klar, dass der Taifun wohl schon vorbei war, und ich ihn tatsächlich verschlafen hatte. Er war wohl wirklich nicht stark. Und somit war dann diese Taifun-Woche auch vorüber.

Pauline