Dienstag, 15.04.2014

#11 Ein bisschen Alltag

Zwei Deutschsprachige unter 1200 Japanern

Heute ist etwas wirklich verrücktes passiert: Es gab nämlich einen Gottesdienst, bei dem die Siebtklässler (1 Jahr der Mittelschule) gesegnet wurden. Die ganze Schule war da, also 1100-1200 Schülerinnen, die alle ordentlich nach Jahr und Klasse geordnet dasaßen. Das ist wirklich immer sehr genau durchorganisiert, welche Klasse wann und von wo reinkommt und wo sitzt. Und innerhalb der Klassen sind wir dann auch noch nach unseren Nummern sortiert. Ich bin 47. Also jedenfalls saß ich in der letzten Reihe des erste Jahrs, hinter mir saßen die des zweite Jahrs. Und ein Mädchen, dass direkt hinter mir saß, sprach mich auf einmal auf Deutsch an: "Bist du Deutsche?" Wir unterhielten uns ein bisschen auf Deutsch und wie sich herausstellte, lebte sie drei Jahre lang in Deutschland, genauer gesagt in Frankfurt. Noch genauer gesagt an der U-Bahn-Station, an der ich auch wohne. Echt, was für ein Zufall! Ich nehme mal an, dass wir die einzigen beiden Schüler von über 1100 sind, die Deutsch sprechen, und wir saßen wirklich ganz genau hintereinander. 

Putzen

Danach fühlte ich mich etwas verwirrt, aber auch total glücklich. Außerdem durften wir danach, um kurz nach 12, nach Hause gehen, was ich nicht gewusst hatte, mich aber natürlich freute. Erstmal musste ich allerdings noch putzen, zum ersten Mal. Wenn die Schule um ist, macht jeder seinen Stuhl auf seinen Tisch und schiebt den Tisch nach vorne. Die, die mit Putzen dran sind, fegen dann erst hinten, schieben dann alle Tisch nach hinten, fegen vorne und stellen schließlich alle Tische wieder in gerade (zumindest einigermaßen) Reihen. Außerdem werden die Fenster geschlossen und die Tafel, sowie die Tafelwischer geputzt. Dazu habe sogar alle Mädchen Schürzen in der Schule. Asuka, ein Mädchen, die sich seit dem ersten Tag etwas um mich kümmert und mit der ich oft nach Hause fahre, wartete auf mich. Auf dem Weg zur U-Bahn unterhielten wir uns tatsächlich ein bisschen über Japan und Deutschland und Orte, an die wir mal fahren wollen. Ich weiß, dass ich viele Fehler machte und viel in halben Sätzen sprach, außerdem gab es doch immer wieder Worte und Sätze, die ich auf Englisch sagte. Aber mir kam es trotzdem unglaublich vor, dass ich so viel sagen konnte und vor allem so viel verstand. 

Englischunterricht

Zuhause aß ich dann endlich mein Bento und dann unterhielt ich mich ewig mit meiner Gastmutter. Auch wenn ich dabei kein Japanisch lerne, ist es doch immer wieder schön, das zu machen. Genauso wie es mir unglaublich vor kommt, wie viel Japanisch ich schon kann, kommt mir übrigens auch mein Englisch unglaublich vor. Im Herbst habe ich noch kaum einen Satz auf Englisch mit Austauschschülern in Deutschland wechseln können und jetzt erkläre ich meiner Gastmutter das deutsche Schulsystem (oder eine leicht vereinfachte Version davon). Der Englischunterricht ist dafür echt langweilig. Während alle versuchen, irgendwelche englischen Grammatikregeln zu lernen, versuche ich, mit der japanischen Übersetzung irgendwas anzufangen. Und während alle versuchen, sich vor dem einen englischen Satz zu drücken, ist es für mich ja praktisch "meine" Sprache, wenn ich nach dem Unterricht auf Englisch mit meiner Lehrerin rede. Der Unterricht ist generell total anders als der Deutsche. Die Englischlehrer sprechen kaum Englisch. Wir mussten als Hausaufgabe einen Text lesen und im Unterricht wird der dann "besprochen". Das heißt, der Lehrer erklärt irgendwelche grammatikalischen Dinge oder auch Wörter. Er fragt allerdings kein einziges Mal, was wir nicht verstanden haben oder so, sondern erklärt die Sachen, von denen er offenbar annimmt, dass die Schüler sie nicht verstehen. Die Schüler machen also nichts als mitschreiben, vielleicht mal eine Frage beantworten, falls der Lehrer denn eine stellt, und am Ende im Chor einen Textabschnitt laut zu lesen. Natürlich ist das in allen Fächern ungefähr das Gleiche, aber in Englisch finde ich es besonders komisch. Ich vermute, dass das auch der Grund dafür ist, dass die Japaner so schlecht im Englischsprechen sind. Einerseits ist es für sie wahrscheinlich wirklich schwerer Englisch zu lernen als für Deutsche, sowohl was die Aussprache als auch was die Grammatik betrifft. Aber außerdem verbringen sie auch einfach viel zu viel Zeit damit, komplizierte Grammatikregeln zu lernen, als dass sie das, was sie schon könnnen, einfach mal in irgendeiner Form anwenden.

Mit meinen "Freunden" oder: Harry Potter und Arashi

Naja, aber obwohl die Schule langweilig und echt anstrengend ist, geht es mir ganz gut. Mit vielen in meiner Klasse verstehe ich mich echt gut. Ich bin sogar mit einem Mädchen und zwei ihrer Freundinnen für Sonntag fürs Kino verabredet (Detektiv Conan) und mit einem anderen gehe ich in ein paar Wochen zum Karaoke. Und manchmal "unterhalten" wir uns. Wichtigste Themen: Was ist mein Hobby, mein liebstes japanisches Essen (ich sage meistens Curry), was gibt es in Deutschland für Essen (außer Würstchen natürlich, die kennen alle, manchen fallen bei Frankfurt sogar Frankfurter Würstchen ein), wo will ich in Japan gerne hin, was ist mein Lieblingsfilm, Lieblingsbuch, und, sehr, sehr wichtig, was ist meine Lieblingsgruppe/Lieblingssänger. Oder anders gesagt: mag ich One Direction und Arashi? Ich glaube, hier sind alle Fans von denen. Ich finde das total schwer zu beantworten, aber wenn ich sage "Fluch der Karibik", "Harry Potter" und dass ich 1D und Arashi ein bisschen mag, sind alle zufrieden. Außerdem finden sie immer noch alles toll, was ich mache, ob ich nun Cello spiele, Deutsch spreche, ein Wörterbuch oder ein Ordner mit Snoopy drauf dabei habe. Und vielleicht sollte ich es zurücknehmen, dass ich nicht mehr so viel Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Dass ist in meiner Klasse so. Aber immer noch grüßen mich Leute, die ich nicht kenne, um dann "kawaiiiii" zu rufen, wenn ich zurück grüße, immer noch winken Leute mir zu, während sie sich dreißig Zentimeter vor mich stellen und mich mit aufgerissenen Augen anstarren, immer noch stupsen sich die Mädchen gegeseitig an, wenn ich über den Schulhof gehe. Und ja, an Harry Potter musste ich auch denken, als ich den letzten Blogeintrag schrieb, wobei es so schlimm dann auch wieder nicht ist.

Clubs

Besonders stark war es aber gestern, als ich in den Wanderclub ging. Am Freitag war ich schon im Orchesterclub und dort hatte ich eher das Gefühl, alle in große Verlegenheit zu stürzen. Gestern im Wanderclub schienen sie dagegen eher außer sich darüber, dass ich ausgerechnet ihren Club besuchen kam, erst recht, als ich sagte, dass ich ihm vielleicht beitreten würde. Es war ein bisschen nervig, aber an sich machte der Club echt großen Spaß. Der Orchesterclub machte auch großen Spaß und ich weiß immer noch nicht, wo ich jetzt eigentlich hinwill. An anderen Sportclubs gibt es noch Volleyball, Basketball, Tennis und Baseball, außerdem gibt es wirklich viele Kulturclubs. Am Freitag gehe ich also vielleicht zu Teezeremonie. Ich versuche einfach mal, möglichst viel auszuprobieren.

Und außerdem war ich am Wochenende beim Aikido, aber außerhalb der Schule. In Deutschland habe ich auch schon Aikido gemacht, und ich wollte es gerne weitermachen, an meiner Schule gibt es es aber nicht (katholische Mädchenschule). Da S-Sensei aber Aikido macht, hat sie mich mitgenommen, und es hat riesigen Spaß gemacht, auch wenn es ganz schön schwer war. Alle haben mich gelobt, vor allem meine Okemi, allerdings habe ich ihnen am Anfang auch nicht gesagt, dass ich seit einem Jahr Aikido mache und den 4. Kyu habe. Am Ende musste ich mich dann mal wieder vor allen auf Japanisch vorstellen, aber inzwischen ist das nicht mehr so besonders schwer. Ich habe mich jadenfalls total gut mit allen verstanden und ich will unbedingt wieder hingehen, auch wenn es recht weit weg ist.

Teezeremonie, mein Gastbruder und Antworten

Die Teezeremonie war übrigens nicht öffentlich sondern von AFS für uns und unsere Gastfamilien. Sie war auch nicht so ganz traditionell, denke ich, da uns die ganze Zeit etwas erklärt wurde und so. Dieses Wochenende hätte ich mit S-Sensei und dem Teezeremonieclub meiner Schule zu einer richtig traditionellen gehen können, aber dazu hätte ich am Samstag früh aufstehen müssen und ich brauchte echt mal einen Tag Pause.

Und Yutaro hat mir vorgestern tatsächlich mit meinen Mathehausaufgaben geholfen, die ich nicht kapierte, obwohl ich es schaffte, die meisten Wörter im Internet nachzuschlagen und außerdem auf Wikipedia und anderen Seiten über das Thema las. Nach reichlichem Nachdenken und nachdem er in seinem eigenen Mathebuch nachgelesen hatte, kam er auch tatsächlich auf eine Lösung, die er mir aber leider weder sagte, noch erklären konnte. Und er schreibt so krakelig, dass ich seine Rechnungen nicht lesen konnte. Schließlich half mir also Otoosan, der auch wirklich auf das gleiche Ergebnis kam wie Yuraro, und es mir außerdem so erklären konnte, dass ich es einigermaßen nachvollziehen konnte. 

Im Home Room redet man, würde ich sagen. Man bekommt außerdem Zettel mit Informationen und so. Das meiste verstehe ich nicht. Selbst wenn S-Sensei über mich redet, kapiere ich oft nicht, was sie da gerade über mich erzählt. Ich habe mich echt schon gefragt, über was sie die ganze Zeit geredet haben, bevor ich kam, denn ich habe das Gefühl, dass es eigentlich ständig nur um mich geht. Und zwar nicht nur im Home Room. Auch in anderen Stunden wird mein Name öfter gesagt, als alle anderen Namen, glaube ich. Andererseits gibt es aber auch Lehrer, die ich schon mehrmals hatte, die aber noch nie irgendwie zu erkennen gegeben haben, dass ich neu bin oder so.

Ach so, und PoWi ist Politik und Wirtschaft, das gibt es als Schulfach in Hessen.

@Norakah: 1) Ich musste doch eine Rede halten, halt nur nicht vor der gesamten Schule. 2) Ihr habt gerade Osterferien, keine Herbstferien und 3) Könntest du mir nicht mal über das Kontaktformular verraten, wer du bist? Ich will es so gerne wissen, aus reiner Neugierde!

 

Okay, das war's mal wieder, ich werde jetzt wohl mal ein bisschen Lernen oder Abendessen essen oder beides (wörtlich übersetzt heißt Abendessen auf Japanisch Abendreis, was aber auch nicht so verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass wir Abendbrot sagen)

Pauline