Mittwoch, 02.04.2014

#8 Bei Verwandten oder: Warum man Wasser auf Gräber schüttet

In einem traditionellen Haus!

Gestern besuchten wir Verwandte von Obaasan und Okaasan, die nördlich von Tokyo auf dem Land leben. Sie wohnen in einem traditionellen Haus. Von außen sah man es nicht, da es wie die meisten Häuser hier mit so hässlichen Plastikplatten verkleidet war. Aber wenn man durch die Schiebetür nach innen ging, kam man in einen typischen Eingangsbereich, in dem wir unsere Schuhe auszogen, bevor wir den sehr erhöht gelegenen und mit Parket belegten Flur betraten, der um zwei Tatamizimmer führte. Diese hatten papierbespannte, aufschiebbare Wände, die Lampen waren ebenfalls mit Papier bespannt und Okaasan zeigte mir später die traditionell gearbeiteten Holzverzierungen an den Fenstern. An den Wänden hingen Bilder irgendwelcher Vorfahren und gerahmte Urkunden oder so, die ich natürlich nicht lesen konnte, außerdem gab es eine Zierniesche, in der eine Schriftrolle und andere Sachen waren. Und während sich in dem einem Raum ein shintoistischer Schrein befand, gab es im anderen einen buddhistischen, vor dem wir für irgendwelche Verwandte beteten. Okaasan zeigte Shiori und mir, was wir machen sollten. Nacheinander zündeten wir Räucherstäbchen an, löschten sie durch wedeln wieder, legten sie in die dafür vorgesehene Schale, schlugen eine Klangschale an und verneigten uns kniend mit zusammengelegten Händen. 

Auf dem Friedhof

Später gingen wir zu einem Friedhof, der auf der anderen Seite des Dorfes lag. Ich glaube, es war das Grab von Obaasans Großeltern oder so. Am Eingang des Friedhofes gab es Eimer und Kellen und in einen Eimer füllten wir aus einem Hahn Wasser. Dann suchten wir ein bisschen das Grab. Der ganze Friebhof bestand nämlich aus Marmorgräbern, die alle sehr ähnlich und außerdem sehr neu aussahen. Obaasan erklärte uns, dass die ganzen Gräber beim Erdbeben 2011 kaputtgegangen seien und danach neu wieder aufgebaut wurden. Als wir das richtige Grab dann gefunden hatten, schüttete Okaasan erstmal mitder Kelle Wasser über Grabstein und Schrifttafeln, bis die ganz nass waren. Das macht man, weil die Geister ja vielleicht durstig sind. Danach stellte Obaasan die Blumen, die sie mitgebracht hatte, in die dafür vorgesehenden Halter und gab jedem ein paar schon räuchernde Räucherstäbchen. Einer nach dem anderen schütteten wir eine Kelle Wasser auf den Grabstein, legten die Räucherstäbchen in die dafür vorgesehene Schale und verneigten uns mit zusammengelegten Händen, Obaasan und Okaasan im hocken, Shiori und ich im stehen.

Sushi im Kotatsu

Wieder im Haus der Verwandten aßen wir Sushi. Wirklich, ich mag Sushi, aber gestern war ich irgendwie froh, als Okaasan mir sagte, dass es heute Spaghetti geben würde. Wir aßen am Kotatsu, einem niedrigen Tisch, unter dessen Tischplatte eine Decke ist und der beheizt wird. Erstmal kam es mir ziemlich unlogisch vor, sich an einen beheizten Tisch zu setzen, wo wir doch gerade von draußen kamen und alle stöhnten, weil es so warm war. Aber nach einer Weile war ich doch froh über die Heizung. Allerdings war es etwas unbequem, so auf dem Boden zu sitzen und ich wusste nicht genau, was ich mit meinen Beinen machen sollte. Als Shiori, Okaasan und ich uns nach den Sushi, Tee und  Süßigkeiten hinlegten, und ich zuhörte, wie Obaasan mit den Verwandten sprach, wurde mir auf einmal bewusst, wie vertraut Japanisch mir schon ist. Sie sprachen extrem schnell und ich verstand eigentlich gar nichts, aber der Klang war mir total vertraut.

Riesiges Tokyo

Auf dem Rückweg sah ich aus dem Fenster. In den ländlichen Gebieten gab es eine Menge großer traditioneller Häuser mit vorspringenden Dächern und prächtigen Einfahrtstoren, die toll aussahen. Da fand ich es wieder ein bisschen schade, nicht aufs Land gekommen zu sein. Wobei ich es jetzt eigentlich auch ganz cool finde, so nah an Tokyo zu wohnen, dass ich theoretisch ständig hin fahren könnte, was ich allerdings praktisch noch nie gemacht habe. Relativ schnell kamen wir auch schon wieder in die Stadt. Es ist unglaublich wie riesig Tokyo ist! Als wir in einem bebauten Gebiet waren, dass für mich schon Tokyo war (wahrscheinlich war es aber eigentlich noch einer der tausend Vororte), lagen noch 56km vor uns und Yokohama liegt direkt neben Tokyo. Die Straße lag sehr hoch, mindestens genauso hoch wie die allermeisten Gebäude in der Umgebung, so dass man also sehr weit sehen konnte. Und alles, was ich sah, waren Häuser, bis zum Horizont! Nur Häuser, ab und zu eine Straße und natürlich die rosa Kirschbäume. Und das alles im orangenen Licht der untergehenden Sonne, es sah sehr beeindruckend aus.

Und jetzt werde ich mal wieder ein paar Fragen beantworten:

  • Ich habe noch diese Woche Ferien, am nächsten Montag ist mein erster Schultag. Ich freue mich auf die Schule, bin aber auch etwas aufgeregt. Am Montag ist die Einschulungszeremonie für die erstklässler der Mittelschule (ich bin in der ersten Klasse der Oberschule) und dort muss ich glaube ich eine Rede oder so halten. Morgen gehe ich aber auch schon mal in die Schule, da ein Foto für meinen Schülerausweis gemacht werden muss.
  • Ich denke, ich kann schon einfach mal spazieren gehen, habe es bisher aber noch nicht gemacht.
  • Nein, ein Kirschpflückfest gibt es nicht, so weit ich weiß, ich glaube, es sind Zierkirschen.
  • @Tim: Ob es im April noch Kirschblüten gibt, kommt ziemlich auf die Region an, würde ich mal sagen. Hier in Yokohama werden sie schon bald verblüht sein und weiter südlich sind sie es schon. 100km weiter nördlich sind sie jetzt aber noch nicht mal auf dem Höhepunkt er Blüte und auf Hokkaido liegt noch Schnee, glaub ich, da werden sie also wahrscheinlich noch gar nicht angefangen haben zu blühen. Ich hoffe aber für dich, dass du irgendwo hinkommst, wo du sie dann noch sehen kannst!
  • Bisher bin ich nocht nicht dabei, Deutsch zu verlernen. 
  • Bisher sitzten wir hier auch noch nicht aufeinander. Ganz im Gegenteil, heute hatten wir mal nichts vor, Otoosan und Okaasan waren beide arbeiten, Shiori schlief bis halb eins und Yutaro war in seinem Zimmer und mir war eigentlich ziemlich langweilig.
  • Das -chan hinter dem Namen ist ein Namenssuffix (oder so). Davon gibt es im Japanischen eine ganze Menge: Normal ist -san, was höflich ist und das Herr/Frau im Deutschen ersetzt, allerdings kann man es auch an den Vornamen hängen. -sama ist extrem höflich und man benutzt es eigentlich nur in Briefen oder gegenüber des Kaisers oder so. Nicht so höflich und nur zwischen Bekannten verwendet sind -kun für Jungen oder junge Männer und -chan für kleine Kinder und Mädchen. In der Familie oder bei guten Freunden benutzt man aber gar nichts.