Donnerstag, 04.09.2014

#33 Halbzeit

Erinnerungen an das Erdbeben

Donnerstags bin ich eine Stunde beim Jahrgang über mir. Wir basteln Sachen, um sie beim Kulturfest (wie soll man das ins Deutsche übersetzten!?) zu verkaufen, für einen guten Zweck. Was für ein Zweck das ist, habe ich zwar noch nicht ganz verstanden, aber es macht Spaß und wir können uns unterhalten, wobei sie eigentlich kaum mit mir sprechen, aber naja. Heute kamen jedenfalls Studenten, die mit uns in kleinen Gruppen sprechen sollten, und zwar über das Erdbeben 2011. Vermutlich machen sie irgendein Projekt um den Opfern zu helfen, und vermutlich dient auch unsere Arbeit diesem Zweck. 

Es war jedenfalls das erste Mal, dass ich davon gehört habe, wie das Erdbeben hier war. Die meisten der Mädchen waren zu der Zeit des Erdbebens zuhause. Aber ein Mädchen war alleine unterwegs. Der Student fragte sie, wie es draußen war und sie sagte "yabai!". Heißt so viel wie "mist" oder "scheiße". Aber sie kam wieder heim, sie wurde mit dem Aute abgeholt. Ein anderes Mädchen, das in der Schule war, musste zu fuß heimlaufen, und zwar richtig weit. Andere übernachteten in der Schule. Sie sagten, es sei sehr kalt gewesen. Ich hatte noch nie so richtig darüber nachgedacht, wie das Erdbeben für die Leute war, die ich hier kenne. Normalerweise merkt man ja auch nichts mehr davon. Wobei uns heute auch Bilder von kaputten Häusern gezeigt wurden, die immer noch genauso kaputt wie vor dreieinhalb Jahren herum stehen.

In Deutschland ging es irgendwie immer nur um Fukushima, das Erdbeben habe ich immer ein bisschen ausgeblendet. Um Fukushima, oder besser darum, ob man Obst und Gemüse essen kann, ging es heute auch. Ein oder zwei Mädchen sagten, dass sie oder ihre Eltern sich noch Sorgen deshalb machen würden. Die anderen meinten alle "überhaupt nicht". Die Mehrheit meinte damit, dass sie sich keine Sorgen machen würden, ein Mädchen meinte, dass sie sich nicht dafür interessieren würde. Was ich schade fand, war, dass es irgendwie keine Expertenmeinung oder so was gab, auch der Student äußerte sich nicht dazu. Jeder sagte halt nur, was er denkt, aber daraus konnte man irgendwie nicht schließen, was richtig oder falsch ist. Übrigens habe ich neulich ja mal von Pfirsichen aus Fukushima geschrieben. Möglicherweise sind sie wirklich unproblematisch. Ich habe jedenfalls neulich im Supermarkt gesehen, dass Fukushima als ganz normale Pfirsich-Region gilt, genau wie andere Teile von Japan eben auch.

Ach so, gerade sind Erdbeben eh ein großes Thema, denn der 1. 9. ist hier ein Tag, an dem es um Erdbeben und sonstige Naturkatastrophen geht, seit es am 1. 9. 1923 ein riesiges Erdbeben gab. Ich habe Fotos davon gesehen, wie Tokyo danach aussah, und sie sahen genauso aus wie Fotos von Tokyo nach dem 2. Weltkrieg. Alles zerstört. Auch ein großer Teil der Schüler meiner Schule starb, als das Schulgebäude einstürzte.

Vorbereitung auf die Examen

In einer Woche habe ich mal wieder Examen. Ich bin fleißig am Lernen. Ich weiß, dass es einige Austauschschüler gibt, die überhaupt nichts machen, und ich kann das Gefühl schon verstehen. In manchen Fächern, wie Bio, habe ich auch null Motivation. Aber irgendwie lernen alle meine Freunde, und dann lerne ich eben auch. Vor einer Woche habe ich mir noch meine Mathebücher und Hefte angeschaut und nichts, wirklich gar nichts verstanden. Es erschien mir aussichtslos, das irgendwie verstehen zu können. Um so schöner ist das Gefühl, wenn es auf einmal doch Dinge gibt, die ich wieder verstehe. Und Übungsaufgaben richtig löse. Schon für dieses Gefühl lohnt sich das Lernen, außerdem ist auch der Unterricht interessanter, wenn man einen Schimmer davon hat, um was es geht. Ich lerne auch in der Schule, vor und nach dem Unterricht, so dass ich jetzt schon wie meine Freundin den Ruf habe, zu fleißig zu sein. Was nicht stimmt, sie lernen alle viel mehr als mich, aber was solls. Es nervt irgendwie, wenn man wegen allem, was man macht, bewundert wird. Die meisten gehen jedenfalls in Nachhilfeschulen und meine eine Freundin sagte mir, das viele dort bin abends um neun bleiben und dort lernen. Das machen sie, damit sie sich nicht mit Fernsehen oder ähnlichem ablenken können, wie sie es zuhause machen würden (und wie ich es gerade mit Blog mache, so ganz nebenbei bemerkt). Meine eine Freundin geht nicht in die Nachhilfeschule, sie bleibt stattdessen bis nach fünf in der Schule, um dort zu lernen. Heute hatten wir keinen Club (wegen der Examen. Hoffe ich zumindest, sonst habe ich ein Problem). Ich blieb stattdessen mit meiner Freundin in der Schule. Lernen tat ich zwar nicht wirklich, aber ich konnte meine Lehrerin ein paar Sachen fragen. Auf dem Heimweg unterhielten wir uns und ich wurde von einer Amerikanerin gefragt, ob ich Halbjapanerin sei. Für sie muss mein Japanisch also ziemlich gut geklungen haben (wobei ihres auch nicht so schlecht war). Aber mir sagt wirklich so gut wie jeder, den ich nach den Ferien wieder treffe, dass mein Japanisch sooo gut geworden sei :D

Die Zeit vergeht...

Der Sommer ist vorbei. Das dachte ich mir, als ich am Dienstag auf dem Heimweg nach dem Club merkte, dass es um sechs dunkel ist. Also, dunkel ist übertrieben, aber hell ist es eben auch nicht. Es ist auch kühler geworden, nur noch 28 oder 29 Grad. Soll aber noch mal heiß werden, heißt es.

Auch mein Austauschjahr ist schon zur Hälfte vorbei, sogar ein bisschen mehr. Am Sonntag hatten wir deshalb mal wieder eine Orientation. Niemand wollte dahin gehen, sie sind einfach ziemlich langweilig, aber sie war deutlich lustiger als die vorige. Was daran liegt, dass meine LP vergaß, Sachen mitzubringen, weshalb wir etwas improvisieren mussten, und auch daran, dass unser aller Japanisch besser geworden ist und dass wir uns inzwischen einfach schon viel besser kennen. 

Ich weiß nicht genau, wie ich es finde, dass die Hälfte vorbei ist. Zwar habe ich in diesen ersten fünfeinhalb Monaten ja schon unglaublich viel gemacht, aber wenn ich jetzt in den Kalender schaue, habe ich das Gefühl, dass es schon fast vorbei ist und dass es viel zu kurz ist. Dann denke ich, dass ich noch länger hier bleiben will, dass ich wenigstens ein Jahr hierbleiben will, nicht "nur" die zehneinhalb Monate. Wenn ich meinen Freunden im Kalender zeige "hier fliege ich wieder nach Deutschland", bekommen sie einen Schock, und ich kann so gut verstehen, es wirkt schon so nah. Ich habe jetzt schon totale Angst davor, mich von allen verabschieden zu müssen.

Andererseits erinnere ich mich aber auch immer öfter an Dinge in Deutschland und ich wünsche mir ein bisschen auch, wieder da zu sein. Ich hatte zwar noch nie Heimweh, aber manchmal erinnere ich mich an, teilweise sehr unwichtige oder alltägliche, Dinge und dann überkommt mich so was wie Sehnsucht. Ich mache auch manchmal schon Pläne, für was ich machen will, wenn ich wieder in Deutschland bin. Ich würde gerne einen Austauschschüler aufnehmen. Erstens stelle ich es mir sehr schön vor, und außerdem weiß ich, dass AFS in Deutschland sehr sehr große Probleme damit hat, Gastfamilien zu finden. Es gibt deshalb viele Austauschschüler, die erst später fliegen können, als geplant, aber das Jahr wird nach hinten hin nicht verlängert. Also, an alle, die das hier lesen: Jeder kann Gastfamilie werden! Ich bin meiner Gastfamilie hier so dankbar. In Yokohama haben schon zwei Austauschschüler die Familien gewechselt und einer hat mal darüber nachgedacht, aber bei mir gab es nicht eine einzige Situation, wo ich auch nur irgendwas in der Richtung gedacht habe. Außerdem wünsche ich mir manchmal, mein Leben hier meiner Familie oder meinen Freunden in Deutschland zu zeigen. Aber ich denke, dass ich das selbst über Skype nicht wirklich könnte. 

Ich habe noch nie geskyped oder telefoniert (danke an meine Familie, dafür, dass ihr das mitmacht). Ich habe Angst, dass ich Heimweh bekomme, wenn ich es tue. Außerdem fand ich es auch ganz lustig, Deutsch zu verlernen. Naja, jetzt habe ich es aber ein bisschen wieder drauf, weil ich ja andere deutsche Austauschschüler getroffen habe. Am Anfang (vom Camp) war es wirklich richtig schwer. Ein deutsches Mädchen und ich unterhielten uns sogar auf Japanisch, aber der Junge hat immer Deutsch geredet, da blieb mir keine Wahl. Ich bin zwar wieder rein gekommen, aber am Anfang habe ich echt gemerkt, wie ich Fehler mache. Über José habe ich außerdem erfahren, dass der deutsche Junge gesagt hat, dass mein Deutsch komisch sei. Menno! Aber dafür ist es ein tolles Gefühl, wenn mir auf einmal auffällt, dass ich auf Japanisch denke, was manchmal vorkommt.

Sämtliche Fragen ignoriere ich jetzt mal...

Pauline