Dienstag, 16.09.2014

#34

Morgens steht der Schulleiter vor dem Schultor. Wegen der Prüfungen. Er begrüßt die Schülerinnen und sagt ihnen "strengt euch an!", versucht sie zu beruhigen, in dem er ihnen zuruft, dass das, was sie gelernt haben, bestimmt dran kommt, oder ermahnt sie, wenn sie noch schnell über die eigentlich schon rote Ampel rennen. Mich begrüßt er wie immer auf Deutsch mit "guten Morgen" und meine Freundin bricht deshalb in Lachen aus. Auf dem neu gemachten Weg am Tennisplatz vorbei (er hat jetzt eine sehr seltsame rote Farbe) liegen gelbe Blätter und die Kirschbäume, die ihn säumen, sind schon halb kahl. Das ist mir heute zum ersten Mal aufgefallen. 

Einsame Zeit

Die Zeit vor den Examen war etwas einsam. Alle waren ja am lernen. Zwar kenne ich inzwischen schon so viele Leute, dass ich auf dem Gang ständig begrüßt werde und ab und zu wechselte ich auch wirklich ein paar mehr Sätze mit jemandem. Dagegen redeten meine Freunde aber kaum mit mir, weil sie die Pausen damit verbrachten, zu lernen, die Arbeitsblätter fertig auszufüllen oder zu Lehrern zu rennen, um Fragen zu stellen. Das kann man immer machen. So wie wir auch, sind die Lehrer mit wenigen Ausnahmen von morgens bis nachmittags durchgängig in der Schule und so kann man sie immer Dinge fragen. S-Sensei, die ja Mathelehrerin ist, steht nach der Schule ab und zu bis zu eine Stunde lang mit Schülern herum, um ihnen Sachen zu erklären. Man findet die Lehrer auch meistens, trotz der Größe der Schule, wenn man sie braucht. Dabei haben sie keine Räume, sondern es gibt Klassenräume, so ähnlich wie in Deutschland. 

Examen

Aber jetzt sind die Examen ja erfreulicherweise fast schon wieder vorbei. Ich hatte eigentlich vor, dieses Mal nur die zwei Mathe- und zwei Englischexamen mitzuschreiben. Aber am Mittwoch sprach ich mit S-Sensei und sie war der Ansicht, es wäre doch eine gute Idee, wenn ich jeden Tag mindestens ein Examen mitschreiben würde, weil ich ja sonst nicht wirklich was zu tun habe. So kam es, dass ich am Donnerstag Physik hatte und morgen Japanische Geschichte habe. Geschichte ist vollkommen hoffnungslos, aber Physik ist nicht so schwer, ich hatte halt nur nie die Motivation gehabt, die Aufgaben zu machen. Also lernte ich am Mittwoch Physik, ich hatte nur einen Nachmittag! Aber das Examen war schon ganz gut, denke ich. Vielleicht habe ich auch bei der Hälfte der Aufgaben die Formeln durcheinandergebracht, aber ich glaube eigentlich eher nicht. Dadurch hatte ich aber dann nur noch den Donnerstagnachmittag für Mathe. Ich habe mich so angestrengt! Und ich war so müde, aber die Prüfung ist richtig gut gelaufen, sie hat sogar Spaß gamacht. Ich weiß zwar das Ergebniss noch nicht, aber meine Lehrerin hat mich heute schon gelobt. Danach war noch Englisch, was viel zu viele Aufgaben waren, fanden alle, die Zeit hat nicht gereicht. Man muss außerdem einen Text, eine Comment oder so, schreiben, aber man weiß das Thema schon vorher (kann ihn sich also zuhause ausdenken und dann auswendig lernen) und man braucht nur 100 Wörter zu schreiben. Und ich kann keine so kurzen Texte schreiben! Ich hoffe, dass das Ergebnis nicht sooo schlecht ist, weil sonst muss ich in den schlechteren Englischkurs, und der Unterricht ist jetzt schon immer zum Einschlafen. 

Frisbeespielen

Am Freitagnachmittag habe ich dann geschlafen, ich konnte mich einfach nicht mehr wachhalten. Den Samstagvormittag verbrachte ich damit, eine Serie zu schauen, genauso wie den Sonntagabend, ansonsten lernte ich schon mehr oder weniger fleißig. Nur am Sonntagnachmittag ging ich mit Yutaro Frisbee spielen. Er macht das nämlich aus irgendeinem Grund im Sportunterricht und hat da auch einen Test, weshalb er üben wollte. Er fragte eigentlich Shiori, die aber keine Zeit hatte. Von sich aus hätte er mich nicht gefragt, aber Okaasan schlug es vor, und ich sagte okay. Vor allem, weil es das erste Mal war, dass ich irgendwas mit ihm machte, wenn man von ein bisschen Krafttraining im Wohnzimmer absieht. Ich finde es wirklich schade, dass ich so wenig Kontakt mit ihm und auch mit Shiori habe. In letzter Zeit, vor allem seit wir in Osaka waren, rede ich zwar etwas mehr mit Shiori, aber es ist immer noch wenig. Wenn ich mit Yutaro alleine esse, versuche ich jetzt immer, Gesprächsthemen zu finden. Es ist schwer und wir reden über ziemlich belanglose Sachen (zum Beispiel Tomatensaft), aber immerhin reden wir überhaupt ein kleines bisschen. Es wird auf jedenfall besser und ich freue mich darüber. Deshalb ging ich also mit Yutaro Frisbee spielen und es war sehr heiß aber schön.

Mathe

 Gestern war frei und ich machte nicht wirklich was außer Lernen. Mir wurde nämlich schlagartig klar, dass heute meine zweite Matheprüfung war, die mit Sinus und Cosinus, die, vor der ich von allen am meisten Angst hatte. Sie ist nicht super gelaufen, aber wahrscheinlich besser als die im Juni. Und da die zweite Englischprüfung auch heute war, bin ich jetzt fertig, wenn man Geschichte nicht zählt, was ich mache. Mir macht Mathe inzwischen übrigens sehr viel mehr Spaß als am Anfang. Gut, ich stöhne auch ganz gerne darüber, dass es zu schwer ist, aber vieles ist eigentlich auch interessant, so ohne Taschenrechner. Und wenn es auf einmal klappt, ist es umso schöner.  Formeln...das ist Mathe in Japan

Hier ist jetzt noch ein Foto mit Formeln, damit ihr wisst, was ich meine, wenn ich sage, dass ich sie mir nicht merken kann. Das sind die Formeln über Sinus und Cosinus, wir hatten aber noch zwei andere Themen. Und auch wenn man sich die Formeln merkt, heißt das ja noch nicht, dass man weiß, wie man sie anwenden muss. 

Antworten

  • Das Schloss ist Hogwarts! Selbst wenn ich die Harry-Potter-Filme selbst auch nicht so besonders mag, hätte ich schon erwartet, dass man es von Schloss Neuschwanstein unterscheiden kann.
  • Ich kenne durchaus kleine Bahnhöfe auf dem Land, ist klar, dass dort auch keine Hektik herrscht. Aber Shin-Yokohama fand ich noch mal anders. Es war so eine komische Mischung aus keine Hektik und Flughafenstimmung, kann's nicht richtig erklären.
  • Ich wusste schon, dass wir in USJ gehen, nur war mir lange nicht klar, wie lange. Und auch dass wir ins Disneyland gehen, wusste ich. Ich fand's auch ganz gut, einmal hingehen fand ich schon schön. Es war ja auch nicht so, dass ich keinen Spaß hatte, aber der Spaß hing wohl mehr damit zusammen, dass ich mit meiner Gastfamilie da war, als damit, dass ich im Disneyland war. Aber wie gesagt, ich bin froh, dass ich da war, aber ich will es nicht unbedingt wiederholen.
  • Die allermeisten Clubs haben eigene Camps. Allerdings wollen viele da gar nicht so gerne hin, weil es oft richtig hart ist, zwei, drei Tage nur Training. Da ist der Wanderclub eher eine Ausnahme. 
  • Die Verwandten verkaufen das Obst nicht, soweit ich es verstanden habe, es ist nur deren Hobby.
  • Daran wie sich die Natur beim Beerenflücken angehört hat, erinnere ich mich ehrlich gesagt nicht mehr. Beim Wandern hörte man den Bach neben dem Campingplatz. Aber es gibt einen großen Unterschied, den man auch in Yokohama deutlich hört: Es gibt semi, dass sind Zikaden oder Grillen. Gibt es in Deutschland auch, wenn ich so darüber nachdenke. Aber hier sind sie unglaublich laut. Sie wohnen auf Bäumen und an Orten, an denen viele Bäume sind, wie zum Beispiel auf meinem Schulweg, war es in den letzten Monaten manchmal echt extrem laut.
  • Man kniet sich bei der Teezeremonie auf den Boden, ohne Kissen. Wozu die Regeln da sind, weiß ich ehrlich auch nicht so genau.
  • Keine Ahnung, warum das Schuljahr im April anfängt.
  • Ja, ich schreibe immer noch Tagebuch. Die letzten Wochen bin ich nicht so viel dazu gekommen, aber was heißt das schon? Davor habe ich in gut zwei Monaten 360 Seiten geschrieben, seit ich in Japan bin also ca 600 (?). (Ich weiß, dass das viel ist, wird mir hier oft genug gesagt) Allein das Sommercamp waren so um die 50 Seiten, keine Ahnung wie ich das auf Blogeintraglänge kürzen soll. Ich weiß nicht, warum ich mich an so viele Details erinnern kann. Möglicherweise ist es einfach Übung, weil ich es seit Jahren mache..? Ich fange einfach an zu schreiben und dann fallen mir ununterbrochen Dinge ein, die ich auch noch schreiben will. Ich schreibe aber meistens wieder auf Deutsch. Eigentlich finde ich Japanisch ja besser, aber weil ich es eben gewöhnt bin, immer so viele Details zu schreiben, das auf Japanisch aber nicht kann, finde ich es unbefriedigend.
  • Ich habe ja keinen richtigen Taifun erlebt. Dieses Jahr gibt es echt viel schlechtes Wetter, fast wöchentliche Überschwemmungen irgendwo (habt ihr von dem Erdrutsch in Hiroshima gehört?), aber Yokohama wird fast immer verschont. Die Taifuns waren in manchen Gegenden bestimmt überhaupt nicht lustig, aber hier war es einfach schlechtes Wetter und windig.
  • Was man über Walfang und Atomkraft denkt, weiß ich nicht so genau, alles, was ich darüber erfahre, berichte ich hier. Tut mir leid.

Heute gab es starkes Erdbeben. Möglicherweise so wie das Anfang Mai. Allerdings habe ich davon absolut nichts mitbekommen. Wahrscheinlich war ich gerade mit einer Freundin auf dem Weg von der Schule zur Bahn. Wie hätten es spüren oder sehen müssen! Aber alles, was wie bemerkten war, dass die Züge Verspätung hatten und sehr langsam fuhren. Erst als ich zuhause war, erfuhr ich, wie stark das Erdbeben gewesen war und Okaasan war fassungslos, als ich ihr sagte, dass ich nichts davon gemerkt hatte.

Omiyage

Omiyage sind Mitbringsel. Allerdings haben sie in der japanischen Gesellschaft einen sehr sehr viel höheren Stellenwert, als in Deutschland. Wenn ich das jetzt so schreibe, denke ich, dass ich das auch schon mal irgendwo gelesen hatte. Aber ich hatte es wohl vergessen. Fakt ist, dass man immer Omiyage kauft. Wenn Otoosan geschäftlich irgendwo hin fährt, was oft vorkommt, für einen Tag, dann bringt er sie uns am Abend mit. Dabei handelt es sich meistens um Süßigkeiten, Kekse zum Beispiel, oder typisch japanische Sachen. Man kauft sie in Pappschachteln, die in hübsches Papier verpackt sind, wobei die einzelnen Süßigkeiten noch mal in kleinen Plastiktütchen stecken. Diese Schachteln, die wirklich hübsch sind, kann mal überall kaufen. An Bahnhöfen, an Touristenplätzen, an Raststätten. Das nächste Mal werde ich ein Foto machen. Als Shiori auf Klassenfahrt war, brachte sie uns danach Omiyage mit und ich kaufte auch etwas für alle, als ich beim Club camp war. Aber eines vergaß ich: dass man natürlich auch Omiyage für die Leute in der Schule kauft, die Freunde, die aus seinem Club. Ich hätte daran denken müssen, aber ich vergaß es. Vor allem kauft man echt für alle aus dem Jahrgang in seinem Club (mindestens) Omiyage. Und das, obwohl Süßigkeiten in der Schule verboten sind. Also, an alle, die mal nach Japan fahren: denkt daran! Dabei fällt mir ein, dass man hier mit Süßigkeiten irgendwie anders umgeht, kommt mir zumindest so vor. Es kommt zum Beispiel häufig vor, dass jemand seiner Freundin Süßigkeiten gibt, aber obwohl ich mich gerade mit der Freundin unterhalte, bekomme ich nichts. Oder ich bekomme was, aber die Mädchen, mit denen ich zusammen sitze, gehen leer aus. Es gibt es zwar auch, dass sich alle auf jemanden stürzen, der Süßigkeiten hat, aber das macht man nur bei richig guten Freunde, das ist jedenfalls mein Gefühl. Manchmal rufen alle "ich will auch, ich will auch!" und obwohl die Süßigkeiten dann eher willkürlich verteilt zu werden scheinen, bekomme ich nichts. Aber ich bin mir einfach nicht sicher, ob sie es als natürlich ansehen würden, wenn ich auch riefe, oder ob ich das erst darf, wenn die Leute wirklich enge Freunde von mir sind.

 Zur Zeit gibt es hier übrigens ein geheimnisvolles Fieber, das von Mücken übertragen wird. Es schmerzt wohl ziemlich. Geheimnisvoll deshalb, weil es von einem Tag auf den anderen aufgetreten ist, und zwar in einem einzigen Park in Tokyo. Offenbar sind die Mücken von den Philippinien eingeschleppt worden. Die ersten 90 Kranken oder so waren auch wirklich alle in der Nähe des Parks gewesen, aber inzwischen hat es sich glaube ich ziemlich weit ausgebreitet. Also sollen wir darauf aufpassen, nicht gestochen zu werden, im Fernsehen wurde neulich geraten, lange Hosen zu tragen. Aber wie soll das gehen mit Schuluniform? Ich werde jeden Tag ein paar Mal gestochen, selbst wenn ich nur im Wohnzimmer sitze, trotz Mückengittern vor den Fenstern. Bis jetzt geht's mir gut. 

Als ich nach Japan gekommen bin, betrug die Zeitverschiebung zwischen Deutschland und Japan acht Stunden. Seit in Deutschland auf Sommerzeit umgestellt wurde, war ich der Ansicht, dass es jetzt neun Stunden sind. Durch Zufall fand ich allerdings vor einer Woche heraus, dass es nur noch sieben Stunden sind!

Pauline